Petition «Rettet den Nachtzug»

***Die Petition ist abgeschlossen. Sie wurde am 30. September 2015 mit 11'114 Unterschriften eingereicht.***

Die Unterzeichnenden fordern den Bundesrat als Eigner der SBB auf:

1. Die noch bestehenden Nachtzuglinien zu erhalten.
2. Die bereits gestrichenen Linien (Bern–Brüssel, Zürich­–Rom, Zürich­–Barcelona, Basel­–Moskau, Basel­–Kopenhagen) wieder in Betrieb zu nehmen.
3. Eine Strategie für den internationalen Schienenpersonenverkehr auszuarbeiten.

Foto einer Aktion der Regionalgruppe Zürich

In den letzten Jahren wurden viele Nachtzugverbindungen von der Schweiz in wichtige europäische Wirtschaftszentren eingestellt: Bern–Brüssel (2003), Zürich–Rom (2009), Zürich–Barcelona (2012), Basel–Moskau (2013), Basel–Kopenhagen (2014). Auch die noch bestehenden Nachtzugverbindungen sind gefährdet, besonders die von der Deutschen Bahn betriebenen Verbindungen nach Berlin, Hannover–Hamburg, Dresden–Prag und Köln–Amsterdam. Zudem ist die Einstellung des Autonachzugs von Lörrach nach Hamburg, der vor allem von Schweizer Reisenden gebucht wird, per Ende Fahrplanperiode 2017 gemäss DB AG beschlossene Sache. Zudem hat sich die DB dahingehend geäussert, dass sie nicht in neues Rollmaterial investieren wird. Es ist also davon auszugehen, dass Kapazitäten weiter abgebaut werden.

Diese Entwicklung widerspricht nicht nur den Zielen, die der Bundesrat für die SBB formuliert hat, sondern auch den Klimazielen, zu denen sich der Bundesrat international verpflichtet hat, da viele Personen auf Billigflieger ausweichen (siehe Umfrage von umverkehR). Zudem hat die Einstellung von Nachtzugverbindungen zur Folge, dass viele in der Schweiz wohnhafte Personen in ihrer Mobilität teilweise eingeschränkt sind.

Die SBB und die zuständige Bundesrätin Doris Leuthard werden nicht müde, zu behaupten, dass die Nachfrage der Kundschaft für Nachtzüge rückläufig sei. Ist das tatsächlich der Fall? An der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur des Deutschen Bundestages gibt Ulrich Homburg (Vorstand Personenverkehr DB ML AG) zu Protokoll: Die Nachfragesituation ist stabil. «Die Züge sind gut gebucht.» (S. 4) «Wir wissen, die Nachfragezahlen sind gut, das ist unbestritten. Das ist übrigens einer der wenigen Punkte, wo es breite Einigkeit gibt.» (S. 19). Der Arbeitnehmervertreter Joachim Holstein (Betriebsrat DB European Railservice GmbH) bestätigt diese Einschätzung: «Ich kann erstmal bestätigen, was Herr Homburg gesagt hat. Die Nachtzüge sind gut ausgelastet.» (S.6) «Das Fahrgästepotenzial ist da. Meine Firma hat in den Schlaf- und Liegewagen im Jahre 2013 20 Prozent mehr Fahrgäste befördert als fünf Jahre vorher.» (S.18). Und auch ein unabhängiges Gutachten von Thomas Sauter-Servaes (ZHAW) kommt zum Schluss, dass sich «dem Nachtzug ein relevantes Marktpotenzial bietet».

Wenn also die Nachfrage vorhanden ist, wieso können die Nachtzüge, wie oft behaupt wird, nicht wirtschaftlich betrieben werden? Aus Zahlen der Deutschen Bahn geht hervor, dass die Züge auf der Schiene profitabel sind. Intransparente Overhead- und Vertriebskosten machen das gesamte Netz leicht defizitär (Defizit von 5–10 Prozent des Ertrags). Viele Verbindungen sind eigenwirtschaftlich bzw. erzielen einen Gewinn. Der Kostendeckungsgrad der Nachtzugverbindungen ist hoch. Und dies trotz, sagen wir, widrigen Umständen:

  • Rund 20–30 Prozent der Kosten der Nachtzugverbindungen gehen auf die Trasseepreise zurück. Die Preise in Deutschland und vor allem in Frankreich gelten als überhöht. Anpassungen nach unten vor allem für den Nachtzugverkehr (Personen und Güter) sind abzusehen.
  • Nachtzugverbindungen werden gegenüber Billigfluglinien und Hotelübernachtungen steuerlich benachteiligt: Die Mehrwertsteuersätze für Zugfahrten sind höher als für Flüge; zudem wird der Verbrauch von Kerosin im Unterschied zum Strom nicht besteuert.
  • Die DB hat die Nachtzugverbindungen im Betrieb stiefmütterlich behandelt. Innovative Betriebskonzepte wurden kaum entwickelt oder gefördert. Zudem ist das Buchungssystem veraltet: Kontingente, die an Partnerunternehmen gehen, konnten nicht fristgerecht eingelöst werden, so dass Züge als voll ausgebucht gelten, obwohl Plätze frei sind. Es ist für KundInnen nicht möglich, gezielt Betten zu reservieren. Passagiere können im Zug keine Upgrades kaufen, da die Terminals der Zugführer nicht online sind.
  • Vermarktung und Vertrieb sind wenig professionalisiert und nicht zielgenau auf die unterschiedlichen Nachfragesegmente ausgerichtet (siehe Gutachten Probst & Consorten und Sauter-Serveas).
  • Die Hochgeschwindigkeitsverbindungen (HGV) werden von den Bahnunternehmen systematisch bevorzugt: Bei Fahrplanabfragen erscheinen oftmals nur die HGV und nicht alternative, billigere, wenn auch etwas langsamere Verbindungen. Sparangebote werden nur für HGV gemacht. Teilweise werden Linien eingestellt, um die Passagiere auf HGV umzulenken (siehe Link unten für weitergehende Infos zu den HGV).
  • Die Liberalisierung des Schienenverkehrs hat paradoxerweise dazu geführt, dass viele internationale Kooperationen beendet wurden und sich die (ehemaligen) Staatsbahnen auf ihr nationales Kerngeschäft konzentrierten. Diese Entwicklung hat zu einem Verlust der Kundenfreundlichkeit im internationalen Schienenpersonenverkehr geführt und damit auch zu einer sinkenden Nachfrage. Die Ära der Billigfliegerei hat davon nicht unwesentlich profitiert. In welche Richtung sich der internationale Schienenpersonenverkehr entwickeln wird, ist offen. Der Bundesrat wird sich damit im Rahmen der Beantwortung des Postulats 14.3673 eingehend beschäftigen.

Handlungsspielraum seitens der SBB und des UVEK: In den Strategischen Zielen setzt der Bund die Vorgaben für das Unternehmen SBB. In den aktuellen Zielen legt der Bundesrat fest, dass die SBB über die Division Personenverkehr: im internationalen Personenverkehr ihre Marktstellung durch Kooperationen stärkt. Sie stellt so die Integration der Schweiz ins europäische Hochgeschwindigkeitsnetz und gute Verbindungen zu wichtigen Wirtschaftszentren sicher. [Ziel 1.6] Wie die SBB das Ziel zu erreichen versucht, liegt in ihrer unternehmerischen Freiheit. Der Bundesrat als Eigner der SBB hat also die Möglichkeit, über die Definition von strategischen Zielen, die SBB zu verpflichten, Nachtzugverbindungen aufrechtzuerhalten. Unter welchen ökonomischen Bedingungen die SBB dies zu machen hat, ist offen. Die SBB kann einerseits Kooperationen eingehen, aber auch selber als Besteller von Leistungen im Nachtzugverkehr auftreten.

Weitergehende Fragen

  1. Es ist anzunehmen, dass die DB weitere Nachtzugverbindungen auf die nächste Fahrplanperiode streicht. In welche Städte sollte es, gemäss Bundesrat und SBB, zwingend Nachtzugverbindungen geben?
  2. Der DB-Entscheid, nicht mehr in neues Rollmaterial für Nachtzüge zu investieren, schafft Fakten. Bestehen seitens der SBB Alternativen, sollte die Schweiz vom europäischen Nachtzugnetz abgeschnitten werden? Könnte allenfalls die ÖBB einspringen?
  3. Was bedeutet für die SBB ein wirtschaftlicher Betrieb? Werden für diese Beurteilung einzelne Linien analysiert oder das gesamte Netz? Wie müsste ein Nachtzugnetz aus der Schweiz nach Europa aussehen, das wirtschaftlich betrieben werden kann?
  4. Gibt es seitens der SBB, die für ihre Innovationskraft und Qualität in der Leistungserbringung international anerkannt ist, innovative Betriebskonzepte für bestehende oder neue Nachtzugverbindungen?
  5. Weiss die SBB, für welche Verkehrsmittel sich die Passagiere entscheiden, die nicht mehr den Nachtzug nehmen können? Eine Befragung deutscher Nachtzugpassagiere hat ergeben, dass nur 25 Prozent auf einen Tageszug ausweichen würden, der Rest würde auf den Zug als Verkehrsmittel verzichten.
  6. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Deutschlands sagt, dass «die Streichung oder teilweise Kürzung von Nachtreisezugstrecken […] nicht im Einklang mit den klimapolitischen Zielen der Bundesregierung [stehen]» (siehe Brief Uwe Brendle vom 26. Januar 2015). Teilt das UVEK diese Einschätzung mit Blick auf die eigenen klimapolitischen Ziele?