Seit Ausbruch des Corona-Virus steht die Luftfahrt im Fokus wie keine andere Branche. Die wirtschaftliche Bedeutung steht in keinem Verhältnis zur medialen Aufmerksamkeit. Nun nennt sogar der Bundesrat zweifelhafte Zahlen zur Anzahl der Beschäftigten, um staatliche Unterstützung zu legitimieren.
An der Medienkonferenz vom letzten Mittwoch, 8. April 2020, strich Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga die besondere Bedeutung der Luftfahrt hervor. Angeblich seien 190'000 Arbeitsplätze indirekt betroffen. «Das sind reine Fantasiezahlen», beanstandet Silas Hobi, Geschäftsleiter der verkehrspolitischen Umweltorganisation umverkehR. Diese Zahl stammt aus dem Bericht über die Luftfahrtpolitik der Schweiz (2016, S. 1872) und ist irreführend übertrieben bis falsch. Denn sie berücksichtigt sämtliche «induzierte» und «katalytische» Effekte: Darin enthalten sind beispielsweise Beschäftigte, die Geld mit den alltäglichen Ausgaben (z.B. Einkauf, Restaurantbesuch etc.) von Piloten verdienen (induzierte Effekte). Aber auch Beschäftigte, welche durch mit dem Flugzeug angereiste Touristen Geld verdienen (katalytische Effekte).
Bundesrat geht Fluglobby auf den Leim
«Der Kartenverkäufer im Kino wird auch nicht dem Taxigewerbe angerechnet, nur weil gewisse Gäste mit dem Taxi anfahren», wundert sich Hobi. Die Gelder, welche durch Schweizer Flugzeug-Touristen ins Ausland abfliessen, werden ausserdem nicht abgezogen. Gemäss Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL, S. 41) fliegen rund doppelt so viele Touristen aus der Schweiz ins Ausland, als Ferienbesucher einreisen. Zahlen des Bundesamts für Statistik belegen, dass nur knapp 20% der Logiernächte von Gästen aus Übersee gebucht werden, während über die Hälfte aller Logiernächte in der Schweiz auf das Konto von Einheimischen geht. Wir müssen also davon ausgehen, dass der katalytische Effekt des Flugverkehrs eher negativ ist. «Der Bundesrat ist den schöngefärbten Zahlen der Fluglobby auf den Leim gegangen», kritisiert Hobi.
Sind Migros-Verkäufer beschäftigte der Luftfahrtbranche?
Schon die knapp 67'000 Vollzeitstellen, welche dem Flugverkehr gemäss BAZL im engeren Sinne angerechnet werden, sind grenzwertig. Darin enthalten sind auch der Einzelhandel und die Gastronomiebetriebe auf den Flughäfen sowie sämtliche Zulieferer und Auftragnehmer ausserhalb der Flughafenareale. Das Verkaufspersonal von Coop, Migros, H&M, Mammut, Apotheken oder Buchhandlungen der Luftfahrtindustrie anzurechnen, nur weil die Geschäfte auf dem Flughafen angesiedelt sind, ist skandalös. Die Kundschaft würde diese Angebote mindestens teilweise in Geschäften und Restaurants im Ortskern oder in anderen Shoppingcentern konsumieren. Es ist offensichtlich, dass die Anzahl Beschäftigte des Flugverkehrs deutlich tiefer liegt und die wirtschaftliche Bedeutung der Luftfahrt massiv überschätzt wird. «Es ist deshalb völlig unverständlich, dass der Bundesrat mit einer Taskforce Luftverkehr dieser Branche Priorität einräumt, während Hundertausende aus anderen Wirtschaftszweigen durch die Maschen der bisher beschlossenen Massnahmen fallen und weiterhin auf eine Unterstützung hoffen», ärgert sich Hobi. umverkehR fordert deshalb: Keinen Sonderstatus für den Flugverkehr, sondern die Förderung von Alternativen zum Luftverkehr zur Erreichung der Klimaziele!
Für weiterführende Informationen:
Silas Hobi, Geschäftsleiter umverkehR, shobi@umverkehr.ch (079 899 09 18)
Greta Stieger, Projektleiterin Zug statt Flug umverkehR, gstieger@umverkehr.ch (044 554 24 51)