In der Schweiz gibt es 8 bis 10 Millionen Parkplätze. Experten orten ein Überangebot und machen die Kantone mitverantwortlich, weil sie auf der Erstellungspflicht beharren.
Der Unterschied ist markant. Das Auto hat gegenüber der Bahn zwischen 1985 und 2009 deutlich mehr neuen Platz beansprucht. Dies zeigt eine Auswertung, die das Bundesamt für Statistik (BFS) jüngst publiziert hat; neuere Zahlen liegen nicht vor. Anteilsmässig am meisten zugelegt hat das Parkplatzareal (+56 %). Bloss ein wenig schwächer war das Wachstum der Autobahnen (+48 %). Die Bahn hingegen beanspruchte nur wenig mehr Raum (+3 %), obschon laut BFS in derselben Zeitspanne auf der Schiene die Leistung stark gestiegen ist: im Güterverkehr um ein Drittel und im Personenverkehr um mehr als das Doppelte.
In absoluten Zahlen hat das Parkplatzareal von 4121 Hektaren auf 6404 zugenommen. Umgerechnet ergibt dies gut 5,1 Millionen Parkplätze von je 5 Meter Länge und 2,5 Meter Breite. Die Rechnung ist damit aber noch nicht vollständig. Denn das BFS stützt sich auf Luftbilder und registriert deshalb nur, was von oben sichtbar ist. Nicht in die Statistik fliessen somit Parkplätze in Tiefgaragen und Parkhäusern. Auch ortet das BFS im Gebäudeumschwung erst Parkplätze ab 10 Parkfeldern; einzelne Parkplätze etwa bei Einfamilienhäusern bleiben ungezählt. Verkehrsexperten schätzen die Gesamtzahl denn auch viel höher. Peter de Haan, ETH-Dozent für Energie und Mobilität und Gruppenleiter beim Planungs- und Beratungsunternehmen Ernst Basler + Partner, spricht von gegen 10 Millionen. Verkehrsplaner Klaus Zweibrücken von der Hochschule Rapperswil rechnet vorsichtiger mit 8 Millionen. Zur Einordnung: In der Schweiz gibt es rund 4,4 Millionen Autos.
Unvermietete Parkplätze zuhauf
Experte de Haan hält die Verfügbarkeit von Parkplätzen für «viel zu hoch». Dies gelte in erster Linie für den Wohnort. Am Zielort, etwa in Innenstädten, sei die Zahl limitiert. Dies könne zwar von einzelnen Autofahrten abschrecken, führe aber nicht zu weniger Autobesitz. Allerdings erzeugt ein Parkplatz etwa bei einem Einkaufszentrum in der Innenstadt viel mehr Fahrten pro Tag (12 bis 18) als ein Parkplatz bei einer Wohnung (3 bis 4). Am Arbeitsplatz sind es rund 3.
Die hohe Zahl von Parkplätzen ist nicht nur eine Folge des grossen Wagenparks in der Schweiz. Auch der Gesetzgeber befeuert das Wachstum. Die grosse Mehrheit der Kantone kennt in ihren Planungs- und Baugesetzen eine Verpflichtung, bei einem Neubau oder grossen Umbauten eine Mindestanzahl Parkplätze pro Wohneinheit zu erstellen. De Haan ortet hier einen Fehlanreiz. Eine Untersuchung der Stadt Zürich bestätigt diesen Befund. Demnach stehen in Zürich 10 Prozent der Parkplätze von Wohnbauten leer.
Zu einem ähnlichen Schluss ist die Credit Suisse bei einer Auswertung ihrer Wohnliegenschaften in der Schweiz gelangt. Speziell in sehr gut erschlossenen Gemeinden gebe es hohe Parkplatz-Leerstände. Durchschnittlich 29 Prozent der Parkplätze seien unvermietet. Von Tagesanzeiger.ch/Newsnet befragte Immobilienexperten ziehen ein ähnliches Resümee: Die Angebot an Parkplätzen sei oftmals grösser als die Nachfrage der Mieter, speziell in Grossstädten, wo der Anteil an autofreien Haushalten steigt. In Basel und Bern besitzt über die Hälfte aller Haushalte kein eigenes Auto mehr, in Zürich und Luzern ist es fast die Hälfte. Allerdings besteht die Tendenz, diese Parkplätze an Autopendler aus der Agglomeration zu vermieten, wie ein Immobilienexperte bilanziert.
Basel-Stadt als Vorbild
Ein weiteres Problem sehen die Verkehrsexperten im wachsenden Bedarf an Wohnfläche. In Bauordnungen und Parkplatzverordnungen wird laut Zweibrücken in der Regel mindestens ein Parkplatz je neu erstellter Wohnung oder pro 100 m² Wohnraum verlangt. Wenn nun aber eine Vierzimmerwohnung heute 150 statt wie früher 100 m²gross ist, ergibt dies 1,5 Parkplätze. Ein Überangebot werde somit auch auf diesem Weg produziert, sagt Zweibrücken.
Erst in den letzten Jahren haben sich die Bestrebungen verstärkt, autoarme oder -freie Siedlungen zu fördern. Am weitesten ist der Kanton-Basel Stadt, der keine Erstellungspflicht für Parkplätze kennt. Auch der Kanton Bern entbindet Bauherren seit neuem von der Auflage, zwingend Parkplätze zu realisieren. Allerdings bedarf es dafür eines Mobilitätskonzepts, das glaubhaft den Verzicht der Bewohner auf private Autos nachweist. Der Kanton Aargau sieht in seinem Baugesetz ebenfalls eine teilweise oder ganze Befreiung der Erstellungspflicht vor, um «in Quartieren mit guter Anbindung an den öffentlichen Verkehr die Voraussetzungen für autoarmes oder autofreies Wohnen zu schaffen».
Die grosse Mehrheit der Kantone sieht jedoch davon ab, das Wachstum der Parkplätze auf dem Gesetzesweg einzudämmen. Wenn überhaupt, so ergänzen sie ihre Gesetze um Ausnahmebestimmungen. So können Bauherren etwa im Kanton Zürich vom Pflicht-Minimum nur abweichen, wenn sie ein «überwiegendes öffentliches Interesse» geltend machen können, etwa zum Schutz des Wohngebiets. Was das im Einzelfall heisst, bleibt jedoch eine Ermessensfrage. Die Zurückhaltung der Kantone bleibt nicht folgenlos: In der Schweiz gibt es noch keine 10 autofreien Siedlungen.
Autolobby ortet Mangel auf öffentlichem Grund
Gibt es in der Schweiz zu viele Parkplätze? Der Touring-Club Schweiz (TCS) verneint diese Frage und verweist auf eine eigene Erhebung. Deren Fazit: Nirgendwo sonst in Europa stehen so wenig öffentliche Parkplätze pro 1000 zugelassene Personenwagen zur Verfügung wie in der Schweiz. Hierzulande seien es bloss 84, in Deutschland mit 183 weit mehr. Diese vergleichsweise geringe Zahl erklärt Thierry Burkart, Vizepräsident des TCS-Verwaltungsrats, unter anderem mit den vielen privat verfügbaren Parkplätzen zu Hause und am Arbeitsort. «Wer keinen Zugang zu einem solchen Parkplatz hat, muss allerdings viel Zeit und Energie in die Suche nach einem öffentlichen Stellplatz investieren», gibt er zu bedenken. Dies führe zu Mehrverkehr, verursache doch die Parkplatzsuche über ein Drittel des innerstädtischen Verkehrsaufkommens.
Kein Verständnis hat der TCS für die Forderung, die Parkplatzerstellungspflicht aufzuheben. Anders die Umweltverbände. Im Gegensatz zum TCS orten sie im Wachstum der Parkplätze einen wesentlichen Treiber des motorisierten Individualverkehrs. Schuld daran seien nicht zuletzt die Kantone, die ein hohes Minimum an Parkplätzen pro Wohneinheit verlangten, sagt Philippe Koch vom Verein Umverkehr. Dies sei jedoch eine Politik aus den 1970er- und 1980er-Jahren. Die Zahl der autofreien Haushalte steige, vor allem in Städten.
Um diesen Trend zu fördern, sollten die Kantone in den Bau- und Planungsgesetzen autofreie Siedlungen explizit vorsehen, fordert Umverkehr. Dies ergebe freilich nur Sinn, wenn die Parkplätze auf öffentlichem Grund flächendeckend bewirtschaftet würden, so wie in der Stadt Zürich. Ansonsten, so befürchtet Umverkehr, verlagere sich beim Wegfall der Erstellungspflicht das Parkieren vom privaten in den öffentlichen Raum.