Die Bäume sind unsere treuen Weggenossen in guten und schlechten Zeiten. Sie sind es seit Jahrhunderten. Es wird sie noch geben, wenn die Menschheit längst ausgestorben ist. Man behandelt sie so schlecht wie unsere Nutztiere. Man fällt sie, unbesehen von ihrem Alter, von ihrer Würde, man zwängt sie in den Städten auf engstem Raum in eines der wenigen noch nicht zubetonierten Löcher, wo sie knapp überleben können. Man setzt sie ständig Schadstoffen, Feinstaub, Abgasen aus, man entzieht ihnen durch Zubetonieren, Versiegeln des Bodens die Wasser-, Nährstoffzufuhr.
von Thomas Beck
Die Leute sind sich des Werts der Bäume nicht bewusst. Die meisten von ihnen nehmen sie kaum wahr, höchstens vielleicht dann, wenn sie blühen oder betörend duften (Lindenduft). Es ist ein in der Bevölkerung weit verbreiteter, latenter Baumdilentantismus vorhanden, eine weitere Form von Naturentfremdung, der erschreckend ist und sich immer verheerender auswirkt! Er findet weitgehend still und leise, kaum beachtet statt, dieser Aderlass der Bäume, ohne Lärm und Getöse, wenn man mal von der Motorsäge absieht, an allen Ecken und Enden in den Städten. Im besten Fall ruft er vorübergehenden Unmut hervor oder einen Verdrängungsreflex.
Man ist ohnmächtig gegen diese Entwicklung. Ich persönlich bin in grosser Sorge um den Baumbestand und damit auch um die Biodiversität in den Städten, um das Wohlergehen, die Zukunft der Städte als Lebensraum. Überall in den Städten stehen die Bäume unter Druck. Dazu kommt der Stress des Klimawandels. Eine hochexplosive Mischung für die Bäume, die so wichtig wären für unser Stadtklima. Es fehlt an Willen und Geld für eine artgerechte Baumpflege, die immer wichtiger und aufwendiger wird, angesichts der häufiger werdenden Hitzesommern. Der Aderlass der Bäume in der Stadt Bern ist unübersehbar, allgegenwärtig, wenn man etwas genauer hinschaut, und das nicht nur wegen der vergangenen Hitzesommern, die vielen Bäumen schwer zusetzten.
Umso mehr blühen Beton und Asphalt auf. Überall wird auf Teufel komm raus gebaut, gebuddelt. Es wurde ein nicht mehr zu bremsender Bauboom sondergleichen losgetreten. Da haben Bäume keinen Platz mehr. Man braucht keine grossen mathematischen Kenntnisse, um zu merken, dass die Einhaltung der Auflage "Für einen gefällten Baum muss ein neuer gepflanzt werden", schlicht unmöglich ist. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, was noch alles weiter gebaut werden soll. Das Bauvolumen geht ja auch in weiterer Zukunft nicht etwa zurück.
In Bern zum Beispiel steht die Umsetzung des Hirschengraben- oder das Ostermundigen-Tramprojekt bevor, welche weitere schwere Verluste beim Baumbestand zur Folge haben werden.Man merkt diesen Rückgang auch bei den Vögeln. Es sind auffallend immer weniger Vögel in den Städten anzutreffen, zu sehen. Der Rückgang ist in den letzten Jahren dramatisch. Was kaum überrascht, wenn man sich vor Augen führt, wie immer weniger passende Nist-, Rast-, Versteckmöglichkeiten sie noch finden, dass mit weniger Bäumen auch die Nahrung mit den weniger werdenden baumlebenden Insekten knapper wird.
Nicht unwesentlich beigetragen zu dieser verhängnisvollen Entwicklung hat die Bequemlichkeit der Stadtbewohner, der Grossteil davon desinteressiert an der Entwicklung, an dem Wohl ihrer Stadt, die jedes Bauprojekt an den Abstimmungen, alles was sie von der Stadt vorgesetzt bekommen, bedenkenlos, ungesehen durchwinken. Eine Einstellung mit fatalen Auswirkungen, wie man jetzt sieht.
Gebaut wird jeweils im Schnellzugstempo. Hunderte von Auflagen müssen zwar heutzutage beim Bauen erfüllt sein, was eine Stange Geld kostet. Aber Geld für das Bauen ist in der Schweiz immer genügend vorhanden. Man verschleudert dabei auch teures Steuergeld für unsinnige, unnötige Bauprojekte. Ein schönes Beispiel dafür ist in Bern die Verlängerung der Buslinie Holligen.
Hingegen wenn es dann um die Gestaltung des Umfeldes, des Umschwungs einer Überbauung geht, hat man es nicht mehr eilig. Den sogenannt grünen Teil kann man ja im Unterschied zu den neuen Wohnungen schlecht zu Geld machen. Man knausert an allen Ecken und Enden. In diesem Fall soll es so kostengünstig wie möglich sein, nicht zuletzt auch der Unterhalt der "Günoasen". Englischer Rasen, wenig Bäume sind angesagt, ja sogar Steingarten ist möglich. Oder man baut an Stelle eines Parks gleich einen neuen Parkplatz! Das kommt billiger und bringt erst noch Geld ein. Mit der Nachhaltigkeit und naturfreundlichen Gestaltung, die vorher in grossen Worten angekündigt, beschworen wurde, nimmt man es dann nicht mehr so genau.
Ohne eine verbindliche umwelt-, naturfreundliche Regelung, Gesetzgebung im Umgang mit den Grünflächen, die eine Stadt zur Verfügung hat, bleibt es weiterhin bei leeren Worten, Worthülsen.
Der Weg, auf Appelle zu mehr Nachhaltigkeit oder auf Freiwilligkeit zu vertrauen, funktioniert nicht, wie man mittlerweile zu Genüge aus schlechten Erfahrungen wissen sollte.
Die Argumente, die zur Begründung herbeigezogen werden, dass ein Baum gefällt wird, sind häufig fragwürdig, unglaubwürdig, fadenscheinig, nicht nachvollziehbar, der Fällungsentscheid oft auf irgendwelchen Druck zustande gekommen. Immer grösserer Beliebtheit erfreut sich dabei das Argument des Sicherheitsrisikos. Der Klimawandel ist zwar für viele ein lästiges Übel oder für einige sogar immer noch ein Märchen. Aber als Kriterium, um einen Baum zu fällen, kommt er gerade recht. Schliesslich ist wegen des Klimawandels in Zukunft mit häufigeren und heftigeren Stürmen zu rechnen. Da kann man gut mal ein paar gesunde Bäume fällen, die nicht mehr in die Planung eines weiteren neuen Bauprojekts passen. Wie die Hunde, die man während des Lockdowns eilig angeschafft hat, um sie gleich nach der Krise ins erstbeste Tierheim abzugeben, weil sie einem lästig geworden sind. Es sind die Auswüchse, das Denken unserer heutigen Wegwerfgesellschaft, wozu ich die heutige, ganze Bau- und Baumpolitik mitzähle.
Der eine oder andere aufmerksame Beobachter dieser Entwicklung wird sich wohl auch schon die Frage gestellt haben, welche Kriterien eigentlich erfüllt sein müssen, dass ein Baum gefällt werden kann, oder anders herum gefragt wie weit, wie gut ein Baum eigentlich geschützt ist. Die Kriterien dafür sind ungenügend, intransparent und wie schon erwähnt, häufig nicht restlos geklärt. Ohne einen besseren Schutz der Bäume, ein Umdenken wird es nicht möglich sein, den Herausforderungen des Klimawandels erfolgreich zu begegnen, mit den dafür notwendigen Massnahmen, Vorkehrungen.
Die Realität spricht leider eine andere Sprache. Statt sich für den Klimawandel, gegen die Hitzesommer zu rüsten und dafür mehr Bäume zu pflanzen, statt sich vor allem auch um die Erhaltung der bestehenden Bäume zu kümmern, opfern die Städte zunehmend ihre besten, ältesten Bäume, "ihre besten Kräfte" könnte man auch sagen. Die Tiefbauämter, verantwortlich für den Bauboom, sitzen immer am längeren Hebel, sitzen nach wie vor auf prall gefüllten Geldsäcken, Geldtöpfen und erfreuen sich Jahr für Jahr eines grosszügigen Geldsegens. Die Umweltämter hingegen haben stets das Nachsehen.
Eine Wiederaufforstung dürfte mühsamer und kostspieliger werden, als sich die Verantwortlichen das so vorstellen, ausmalen, angesichts der sich laufend verschlechternden klimatischen Bedingungen durch den Klimawandel. Es ist zu befürchten, dass nur noch dünne, magere, kümmerliche, kränkelnde Bäumchen nachwachsen werden!
Und die so baufreundlichen, bauverliebten Stadtbewohner müssen sich wahrscheinlich darauf einstellen, dass es viel länger dauern wird, als ihnen lieb ist, bis aus den verbauten Stadtwüsten, -öden, zu der sie einst ja gesagt haben, wieder ein Baumbestand nachwächst, der ihnen genügend Schatten spendet, sie vor Hitze und Sonnenbrand schützt. Vielleicht, nicht auszuschliessen, gibt es dann an Stelle von Bäumen riesige künstliche Sonnenschirme auf massigen, hässlichen Betonpfeilern montiert, wie wir sie von den Windrädern her kennen.
Aber das sind für viele dieser Stadtmenschen nichts mehr als Zukunftshirngespinste, leider. Wichtig ist für sie ein flüssiger Verkehr, der Verkehr muss rollen, so wie auch der Rubel rollen muss, wie es so schön heisst!