Der Herbst 2021 legt die Langzeitfolgen der Ablehnung des CO2-Gesetzes schonungslos offen. Bundesrätin Simonetta Sommaruga will künftig auf Abgaben verzichten. Das Parlament lehnt alle Standesinitiativen für eine Flugticketabgabe ab und Vincent Ducrot (CEO SBB) stellt den Ausbau der Nachtzuglinien nach Barcelona und Rom aufgrund fehlender finanzieller Unterstützung in Frage. umverkehR muss dringend Gegensteuer geben.
Grundsätzlich ist es erfreulich, dass Bundesrätin Simonetta Sommaruga das Klimadossier vorantreibt und bis Ende Jahr eine Gesetzesvorlage in die Vernehmlassung geben will. Es ist auch dringend notwendig, wie der vergangene Sommer mit Überschwemmungen und Sturmereignissen beängstigend verdeutlicht hat. Man ist geneigt anzunehmen, dass solche Ereignisse vor dem 13. Juni zur Annahme des CO2-Gesetzes geführt hätten. Tatsache ist, dass die Erreichung der Klimaziele von Paris in weite Ferne gerückt sind und sich die Umsetzung wichtiger und dringender Klimamassnahmen um Jahre verzögert. Denn mit dem Verzicht auf Abgaben in künftigen Gesetzesvorlagen drohen wirkungsvolle Instrumente ausgeklammert zu werden. Und genau das hat Bundesrätin Sommaruga angekündigt.
Dabei erstaunt insbesondere, dass sie als einzige Massnahme im Bereich des Flugverkehrs auf nachhaltiges Kerosin setzt. Zur Erinnerung: Der Flugverkehr war vor Corona mit 27% für den grössten Anteil des menschgemachten Klimaeffekts verantwortlich. Die Zunahme der Flugbewegungen im Sommer und die mittelfristigen Pläne der Luftfahrtindustrie lassen kein Zweifel aufkommen, dass der Flugverkehr bereits in wenigen Jahren wieder Wachstumsraten von über 3% aufweisen soll. Mit verheerenden Folgen für das Klima. Denn neben den klimaschädigenden CO2-Emissionen führen atmosphärische Prozesse dazu, dass sich der Klimaeffekt des Flugverkehrs verdreifacht.
Details dazu kannst du hier nachlesen oder das Referat von Dr. Urs Neu an unserer Fachtagung als Video schauen:
Und diese atmosphärischen Prozesse führen eben auch zu einem Klimaeffekt des Flugverkehrs, wenn sogenannte synthetische Treibstoffe eingesetzt werden. Dabei ist völlig unklar, wie diese synthetischen Treibstoffe in den benötigten Mengen hergestellt werden sollen. Die Optionen Palmöl aus Indonesien oder Strom aus Kohlekraftwerken gilt es schonmal um jeden Preis zu vermeiden. Aber genau das ist ein realistisches Szenario. Selbst die kühnsten Prognosen der Airlines zeigen, dass synthetisches Kerosin erst in Jahrzehnten in den gewünschten Mengen verfügbar sein könnte. Auch die EU geht in ihrem Vorschlag für die Verordnung für einen nachhaltigen Luftverkehr davon aus, dass bis 2030 5% und bis 2050 63% SAF zur Verfügung gestellt werden können. Davon sind nur 0,7% respektive 28% synthetische Treibstoffe.
Während die Luftfahrtindustrie einmal mehr auf den technologischen Fortschritt hofft, betonen die Klimawissenschaftler zum wiederholten Mal die Dringlichkeit der Klimakrise. Wir müssen bis 2030 möglichst alle fossilen Energien – also auch Kerosin - auf Null reduzieren und nicht weiterfliegen wie die Irren und ab 2030 langsam mit synthetischem Treibstoff anfangen. Es gibt also drei Gründe gegen synthetisches Kerosin:
- Es wird zu spät zur Verfügung stehen und bis dahin als Versprechen wirkungsvolle Massnahmen im Flugverkehr torpedieren;
- Es droht nicht nachhaltig produziert zu werden, weil die Umstellung sämtlicher lebensnotwendigen Sektoren (Heizung, Stromproduktion, Industrie) auf erneuerbare Energiequellen bereits eine genügend grosse Herausforderung darstellt und keine «überschüssige» Energie für das Luxusgut Fliegen zur Verfügung steht.
- Selbst wenn es früh genug und nachhaltig produziert würde, trägt es aufgrund der atmosphärischen Prozesse weiterhin zur Klimaerwärmung bei.
Darum braucht es andere Massnahmen und Strategien. Diesbezüglich ist bedauerlich, dass das Parlament im September alle Standesinitiativen zur Einführung der Flugticketabgabe abgelehnt hat. Aufhorchen lässt insbesondere die Begründung, wonach eine Annahme den Volkswillen missachtet hätte. Als ob wir über eine Flugticketabgabe abgestimmt hätten – nein, es war das CO2-Gesetz. Und die Nachwahlbefragung hat verschiedene Faktoren identifiziert, welche zu der Ablehnung geführt haben – die Flugticketabgabe war aber nicht dabei.
Im Gegenteil: eine Umfrage des TagesAnzeigers bei über 23'000 Personen aus der ganzen Schweiz hat ergeben, dass eine Mehrheit der Bevölkerung bereit ist, für das Fliegen eine Abgabe zu bezahlen. Dabei war auch kaum ein Stadt-Land-Graben auszumachen. Es ist deshalb dringend nötig, diese Massnahme politisch wieder salonfähig zu machen.
Dadurch würden auch die dringend benötigten Einnahmen für den Ausbau der Nachtzüge generiert werden. Denn die Strecken nach Rom und Barcelona können aus Kostengründen nicht wie geplant in Betrieb genommen werden. Immerhin rollt in wenigen Wochen wieder der erste Nachtzug nach Amsterdam. Denn im Gegensatz zu den Versprechen von nachhaltigen erneuerbaren Treibstoffen stellt der internationale Bahnverkehr seit Jahrzenten eine zuverlässige und klimaschonendere Alternative zum Reisen dar. Anstatt auf technologische Wunder in ferner Zukunft zu hoffen und Millionen in Fehlinvestitionen zu verbraten, ist der Bundesrat gut beraten, bewährte Rezepte zu fördern. Die Zeit rennt uns sonst davon. Zur Abwendung der Klimakrise müssen wir alle verfügbaren Mittel sofort und konsequent zur Reduktion von fossilen Energieträgern einsetzen.