Wem gehört die Strasse? Rechtlich gesehen, gehören die meisten Strassen der öffentlichen Hand, also uns allen. Der juristische Blick gibt allerdings ein verzerrtes Bild der Realität wieder. Die alltägliche Nutzung der Strasse zeigt sehr deutlich, wem die Strasse eigentlich gehört: dem Auto. Autos nehmen den meisten Platz ein und dominieren das Strassenbild und das Leben im öffentlichen Raum.
Mit dem Projekt «Brings uf d’Strass!» hat die Stadt Zürich für die Zeit der Sommerferien Autos aus drei Quartierstrassen verbannt. Aus der Fritschistrasse wurde gemäss Konzept des Tiefbauamts ein «gemeinschaftlicher Vorgarten», aus der Rotwandstrasse eine «nachbarschaftliche Verweiltribüne» und aus der Konradstrasse eine «lange Spielstrasse». Impressionen der letzten Wochen zeigen unterschiedlich intensive und unterschiedlich vielfältige Nutzungen der Strasse: Auf der Strasse wurde gespielt, gequatscht, verweilt, getrunken, Velo gefahren oder einfach gar nichts gemacht. Das Projekt «Brings uf d’Strass!» hat tatsächlich aus der Verkehrsfläche Strasse wieder einen öffentlichen Raum gemacht, in dem Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten möglich wurden. Dieses temporäre «place-making» ohne Verwertungsdruck zeigt eindrücklich, dass das Bedürfnis nach Freiräumen für Alltagsnutzungen ohne Konsumzwang besteht. Alles paletti, also?
Jein. Das Projekt «Brings uf d’Strass!» ist, man kann es nicht anders sagen, too little und too late. Die fünfwöchige Sperrung für den Autoverkehr von drei Quartierstrassen in einer Stadt, die seit mehr als 20 Jahren eine komfortable links-grüne politische Mehrheit hat, kann man nicht als mutig oder zukunftsweisend bezeichnen. Die kurze Dauer verunmöglicht den wirkungsvollen Einbezug der Bevölkerung und der Anwohnenden. Der Parking Day und die Critical Mass zeigen ja immer wieder eindrücklich, mit welcher Kreativität und mit welchem Tatendrang die Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner in der Lage sind, sich Strassenräume anzueignen und umzudeuten. «Brings uf d’Strass!» darf keine Eintagsfliege bleiben. Es ist zu hoffen, dass das Projekt nur ein erster zaghafter Versuch ist, neue öffentliche Räume zu schaffen, auf den noch viele mutigere und offenere folgen werden.
Es reicht auch nicht, Strassen mit Mobiliar auszustatten. Strassen müssen völlig neu gedacht werden, damit das Stadtleben in der zukünftigen Hitze erträglich bleibt. Als öffentliche Räume müssen sie grüner, zugänglicher und komfortabler werden. In den 1960er-Jahren hat man die Strassen als Arterien bezeichnet, durch die der Verkehr fliessen und womit man die Stadt lebendig halten soll. Das Gegenteil war der Fall. Die Arterien sind schnell verstopft und mit jeder neuen Strasse wurde der Infarkt wahrscheinlicher. Sollen Strassen in Zukunft die Lebensadern der Stadt werden, dann müssen sie Leben ermöglichen und lebensfreudig werden. Mit den Stadtklima-Initiativen versucht umverkehR, die Schritte in diese Richtung zu lenken. Aber das reicht nicht. Alle Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner müssen ihren Anspruch auf die Strassen anmelden und gemeinsam verwirklichen. Wenn nicht jetzt, wann dann?!