Wir fühlen uns geehrt, dass umverkehR in dieser illustren Runde des SRF Club mitdiskutieren durfte. Als Projektleiterin «Zug statt Flug» habe ich mein Bestes gegeben und konnte hoffentlich der prominent vertretenen Flug- und Reisebranche ein paar wichtige Fakten mitgeben. Folgende 9 Punkte wollte ich in der Sendung mal klarstellen. Einige davon konnte ich zum Ausdruck bringen, andere gingen wegen fehlender Zeit und grosser Nervosität vielleicht etwas unter. ;-) An dieser Stelle möchte ich dem ganzen SRF-Club-Team und den anderen Teilnehmenden (vor allem Endo Anaconda!) für die angeregte Diskussion herzlich danken.
1. Flugverkehr nicht nur Opfer der Corona-Pandemie, sondern auch Mitverursacher: Die Flugbranche wurde hart von der Corona-Krise getroffen – klar, das bestreitet niemand. Die Flugbranche hat auch nicht damit gespart, zu betonen, ja gar zu übertreiben, um wie viele Arbeitsplätze und um welche wirtschaftliche Bedeutung es geht. Im Gegensatz dazu sind jedoch andere Branchen, wie die Gastronomie, der Kulturbereich und die Selbständigen viel stärker betroffen, stellen diese doch ein Vielfaches mehr an Arbeitsplätzen in der Schweiz als der Flugsektor. Diese Branchen haben keine 2 Milliarden vom Bund erhalten und müssen sich noch immer an strenge Corona-Regeln halten. Währenddessen fährt der Flugverkehr seinen Betrieb seit den Grenzöffnungen wieder hoch und hatte schon davor stolz angekündigt, welche Ziele bald wieder angeflogen werden. An Abstandsregeln halte man sich im Flugzeug aber nicht, da dies nicht profitabel sei. Ist es denn in Restaurants profitabel, Abstand zu halten? Immerhin beachtet die Flugbranche die Hygieneregeln und wirbt auch damit, wie sauber die Luft an Board und das Ansteckungsrisiko somit sehr gering sei. Aber mal Klartext: Es geht nicht nur um die Ansteckung an Board, sondern darum, dass mit dem Flugverkehr Menschen und mit ihnen das Corona-Virus innert kürzester Zeit auf der ganzen Welt verteilt werden. Wie konnte es denn überhaupt so schnell zu einer Pandemie kommen? Man rechne: Neuartiges, hochansteckendes Virus + internationaler Flugverkehr = Pandemie. (Auf dieses Resultat kam Ende Dezember 2019 übrigens auch das kanadische Start-Up BlueDot, auf das niemand hören wollte.) Eigentlich nicht so eine schwierige Rechnung. Dennoch hat es eine Weile gedauert, bis die Regierungen die Grenzen schlossen und damit den grenzüberschreitenden Verkehr eingeschränkt haben. Die Luftfahrt hat sich zuerst noch dagegen aufgebäumt, doch dass die starke Reduktion des Flugverkehrs eine wirksame Massnahme zur Eindämmung der Pandemie war, zeigen nun auch Studien. Der Flugverkehr hat also massgeblich zur schnellen, weltweiten Ausbreitung dieses Virus beigetragen. Ihn jetzt wieder sorglos hochzufahren ist verantwortungslos, fürs Klima sowieso und wegen Corona erst recht.
2. Virtuelle Mobilität: Homeoffice, Online-Konferenzen, gleitende Arbeitszeiten – das sind alles Formen von virtueller Mobilität. Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass wir uns nicht immer physisch bewegen müssen, um im Alltag mobil zu sein. Die Verkehrsinfrastruktur von heute ist voll auf die Stosszeiten ausgelegt. Kosten für deren steten Ausbau könnten massiv eingespart werden, wenn die Pendlerspitzen gebrochen werden können. Hier kann die virtuelle Mobilität für Entspannung sorgen und gleichzeitig werden verkehrsbedingte CO2-Emissionen verhindert.
3. Reisen kann man auch sehr gut ohne Flugzeug: Reisen ist nicht gleich Fliegen. Reisen ist nicht an ein Transportmittel gebunden. Je nach Transportmittelwahl ist die Auswirkung auf die Umwelt grösser oder kleiner. Für Ferien, Freizeit, Erholung, einzigartige Landschaften, neue kulturelle Erfahrungen muss man nicht ins Flugzeug steigen. All diese Erlebnisse liegen uns in der Schweiz oder im nahen Ausland zu Füssen und sind bestens zu Fuss, mit dem Velo, dem Zug oder Bus erreichbar. Für weitere Distanzen lohnt es sich, mehr Zeit zur Verfügung zu haben, damit auch dann umweltschonende Transportmittel gewählt werden können. Wir sollten unsere Work-Life- und somit Arbeits-Ferienzeit-Balance definitiv überdenken.
4. Verlagerung auf den Zug möglich: 80% der Passagiere aus der Schweiz fliegen an ein Ziel in Europa. Diese Reiseziele könnten klimafreundlicher mit dem Zug erreicht werden. Durch die Verlagerung vom Flugzeug auf den Zug können Treibhausgasemissionen eingespart und somit die negativen Auswirkungen auf die Umwelt verringert werden. Denn eine Zugreise in Europa verursacht durchschnittlich 7-mal weniger CO2-Emissionen als ein entsprechender Flug. Zudem liegen viele Top-Flugdestinationen ab Zürich (z.B. Berlin, Amsterdam, Wien) in bester Nachtzugdistanz. Der internationale Bahnverkehr und insbesondere das Nachtzugnetz müssen also wieder ausgebaut werden.
5. Flugverkehr sehr klimaschädlich: Das Flugzeug ist das klimaschädlichste Transportmittel des Personenverkehrs pro Person und Kilometer. In der Schweiz ist der Flugverkehr bereits für über 20% des menschengemachten Klimaeffekts verantwortlich, global liegt der Anteil bei 5-8%. Man muss dabei bedenken, dass bisher nur 5-20% der Weltbevölkerung überhaupt jemals geflogen sind und die Wachstumsprognosen trotz Corona enorm sind. Bis 2030 könnte der Flugverkehr zum grössten klimatreibenden Sektor der Schweiz werden. Bis 2050 könnte der Flugverkehr 20% des weltweiten CO2-Budgets ausmachen, das wir nicht überschreiten dürfen, wenn wir die globale Erwärmung unter 1.5 Grad halten wollen. Dieses Szenario ist also nicht vereinbar mit den Pariser Klimazielen! Die Emissionen aus dem Flugverkehr müssen stark reduziert werden.
6. Flugticketabgabe: Diese Lenkungsabgabe zwischen 30 bis 120 Franken pro Flug, je nach Flugdistanz und Buchungsklasse, wird zu weniger Flugbewegungen und einer CO2-Einsparung von ca. 7-11% führen. Das klingt nach wenig, ist aber ein wichtiger Anfang! Um eine stärkere Reduktion zu erreichen, muss die Abgabe höher sein und sollte sich an den Kosten für die verursachten Klimaschäden von 380 Franken pro Tonne CO2 orientieren. Zudem ist die Flugticketabgabe sozialverträglich: Mehr als die Hälfte der Einnahmen werden an die Bevölkerung zurückverteilt und der Grossteil erhält unter dem Strich Geld zurück. Die andere Hälfe der Flugticketabgabe fliesst in einen Klimafonds, mit dem technische Innovationen wie synthetisches Kerosin und Alternativen zum Flugverkehr wie Nachtzüge gefördert werden.
7. Synthetisches Kerosin: Das ist eine nette Idee, die allerdings nicht schnell und grossflächig genug einsetzbar ist und deswegen kein weiteres, ungebremstes Wachstum des Flugverkehrs rechtfertig. Um synthetisches Kerosin herzustellen, sind Unmengen an Solarenergie nötig, die noch gar nicht produziert werden können. In der Schweiz macht Solarstrom erst knapp 4% des hiesigen Strombedarfs aus, weltweit sieht es nicht besser aus. Ausserdem brauchen wir die Solarenergie und die anderen Formen von erneuerbaren Energien zuerst für Essenzielleres wie die generelle Elektrizitätsgewinnung, die Nahrungsmittelproduktion und das Heizen von Gebäuden. Dem Flugverkehr kann im Fossilausstieg keine Priorität eingeräumt werden.
8. CORSIA: Wir müssen reduzieren, nicht kompensieren! Auch CORSIA ist eine nette Idee, aber völlig ungenügend, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Das, zwar internationale, Programm ist bis 2027 freiwillig und will lediglich die Emissionen ab einem Basisjahr kompensieren, damit der Flugverkehr "klimaneutral wachsen" kann. Es handelt sich also nur um einen kleinen Teil der Emissionen, der kompensiert werden soll. Kompensation ist allerdings keine wirksame Massnahme, um verursachte CO2-Emissionen wieder auszugleichen wie Studien belegen. Zudem wurde CORSIA aufgrund von Corona abgeschwächt: Als Basis der „erlaubten“ Emissionen hätten die Jahre 2019 und 2020 gelten sollen. Da die Emissionen aus dem Flugverkehr 2020 wegen Corona weitaus tiefer ausfallen werden, wurde dieses Jahr nun einfach gestrichen. Es soll nun also ein noch kleinerer Teil der Gesamtemissionen aus dem Flugverkehr kompensiert werden. Echte Klimaschutzbemühungen sehen anders aus. Daher verdient CORSIA nicht mehr als den Stempel „Greenwashing“.
9. Rückbau des Flugverkehrs: Um die Treibhausgasemissionen aus dem Flugverkehr rasch und wirksam zu reduzieren, führt kein Weg an einer Reduktion des Flugverkehrs vorbei. Damit die globale Klimaerwärmung auf maximal 1.5°C zu begrenzt werden kann, müssen wir bis 2050 Netto-Null Emissionen erreichen und wenn wir endlich auf den Klimastreik hören würden, bereits bis 2030. Das ist schon in 10 Jahren. Es bleibt keine Zeit, um auf klimaneutrale Treibstoffe zu warten oder uns mit Scheinklimaschutz wie CORSIA zu begnügen. Das heisst nicht, dass technische Innovationen nicht vorangetrieben werden sollen und die Flugbranche keine Eigeninitiative ergreifen soll. Doch es braucht, wie bei der Corona-Krise, ein Eingreifen der Politik, wenn wir auch die Klima-Krise in den Griff bekommen wollen. Wir brauchen als ersten Schritt eine Flugticketabgabe, folgen sollten danach auch eine Kerosinsteuer sowie die Mehrwertsteuer auf internationale Flugtickets. Nebst der Verteuerung bzw. Entsubventionierung – und privilegierung des Flugverkehrs auf Kosten des Klimas müssen wie gesagt die klimafreundlichen Alternativen, sprich der internationale Bahnverkehr und die Nachtzüge, gestärkt und attraktiver gemacht werden.