Wieso werden Nachtzugverbindungen gestrichen, obwohl ihre Auslastung sehr gut ist? Und was können die SBB und der Bundesrat unternehmen, um das Nachtzugsterben aufzuhalten? Mit diesen und weiteren Fragen haben wir uns im Oktober am Podium in Bern und an einer Arbeitssitzung mit der Fraktion Europäische Linke / Nordische Grüne Linke des Europäischen Parlaments befasst.
Konkurrenzlose Nachtzüge
Auf den Niedergang der Nachtzüge angesprochen, argumentieren die Bahnunternehmen stets, dass die Nachtzüge gegenüber Billigfliegern und Hochgeschwindigkeitstageszügen nicht konkurrenzfähig seien. Sowohl Joachim Holstein (Betriebsrat DB ERS GmbH) wie auch Jürg Streuli (Bahnjournalist) haben am Podium von umverkehR am 22. Oktober in Bern auf die Schwäche dieser Argumentation hingewiesen: Weder Flugzeuge noch Tageszüge stellen eine gleichwertige Alternative dar. Das Besondere am Nachtzug ist, dass die Reise kurz ist, da der grösste Teil der Strecke schlafend bewältigt werden kann, und dass der Nachtzug in der Lage ist, die Passagiere so früh mitten in eine Metropole zu bringen wie kein anderes Verkehrsmittel. Ein Wissenschaftler der Universität Bern hat dies am umverkehR-Podium präzis auf den Punkt gebracht: «Wenn ich an eine Konferenz nach beispielsweise Berlin gehen will, dann kann ich mit dem Nachtzug am Abend vor der Konferenz losfahren, d.h. ich kann noch den ganzen Tag vor der Konferenz arbeiten und bin am nächsten Tag pünktlich für die Keynote Speech vor Ort. Diesen Service kann mir weder das Flugzeug noch der Tageszug bieten.»
Rendite vor Gesamtsicht
Wieso diese Stärke von den Bahnunternehmen nicht öffentlichkeitswirksamer kommuniziert wird, wurde aus den Äusserungen von Armin Weber (Leiter Internationaler Personenverkehr, SBB) bald klar. Die SBB wie auch andere Bahnunternehmen setzen im Fernverkehr voll auf Strecken, die zwischen 4 und 6 Stunden dauern, da die Bahnunternehmen sich dort im Wettbewerbsvorteil sehen. Diese Strategie muss als Folge des Liberalisierungs- und Privatisierungsdiskurses der 1990er- und 2000er-Jahre gesehen werden und ist Teil eines Programms, mit dessen Hilfe sich die SBB so genannt «fit machen» für die von der EU angestossenen Liberalisierungsschritte (siehe unten). Darum agieren die Bahnunternehmen wie profitorientierte Konzerne, die nur in jene Geschäftsfelder investieren, die die grössten Renditen versprechen. Speziell bei den SBB stellt sich aber die Frage: Zu welchem Zweck? Rendite um der Rendite willen sollte für ein Staatsunternehmen kein Ziel sein. Besonders da man weiss, dass Nachtzüge nicht nur eine spezifische Nachfrage befriedigen, sondern auch Zulieferer sind für die rentablen Tageszüge. Werden also Nachtzugverbindungen gekappt, nehmen die Bahnunternehmen nicht nur ein nachgefragtes Nischenprodukt aus dem Sortiment, sondern senken indirekt auch die Nachfrage nach anderen Produkten, um dies in der Betriebswirtschaftssprache zu sagen, die offensichtlich auch bei den SBB Einzug gehalten hat.
Zynische Klimapolitik
Aline Trede (Co-Präsidentin umverkehR) hat am Podium aufgezeigt, dass das Ziel, Reisen nachhaltiger zu gestalten, weder beim Bundesrat noch auf internationalem Parkett grosse Unterstützung findet. Doris Leuthard, die SBB, aber auch die DB und die deutsche Regierung haben offensichtlich keine Probleme damit, dass noch mehr Passagiere vom Zug auf das Flugzeug umsteigen. Im Gegenteil: Da die Emissionen des Flugverkehrs in den internationalen Klimaabkommen nicht berücksichtigt werden, ist, aus Sicht der KlimaverwalterInnen, jeder Zugfan, der das Flugzeug nimmt, ein Gewinn für die Klimabilanz.
Europäische Perspektive
Solange dem Bundesrat der politische Wille fehlt, eine kohärente und zukunftsweisende Strategie für den internationalen Schienenverkehr der SBB zu formulieren, besteht weiterhin eine grosse Abhängigkeit vom Willen und vom Handlungsspielraum der benachbarten Transportunternehmen und Staaten. Aus diesem Grund hat sich umverkehR dem Netzwerk Back-on-Track angeschlossen, das zahlreiche Initiativen zur Rettung des Nachtzugs und zur Verbesserung des grenzüberschreitenden Schienenpersonenverkehrs in Europa verbindet.
Auf Einladung der Fraktion Europäische Linke / Nordische Grüne Linke des Europäischen Parlaments ist umverkehR mit einer kleinen Delegation des Netzwerks nach Strassburg gereist, um unsere Argumente für die Rettung des Nachtzugs vorzubringen.
Die Gespräche mit den ParlamentarierInnen waren einerseits ermutigend, da unsere Anliegen von dieser Fraktion geteilt werden, andererseits aber auch ernüchternd, da die Entwicklung auf EU-Ebene wenig Anlass zur Hoffnung gibt. Mit dem 4. Eisenbahn-Paket, das gegenwärtig im Parlament behandelt wird, strebt die EU-Kommission eine weitere Liberalisierung des Eisenbahnmarktes an. Ziel des Pakets ist es, den Zugang zum Eisenbahnmarkt für konkurrierende Unternehmen zu erleichtern. Strecken sollen ausgeschrieben und/oder von mehreren Unternehmen gleichzeitig betrieben werden können. Zudem wird die vollständige Trennung von Infrastruktur und Betrieb angestrebt. Die Folgen einer solchen Reform sind nicht absehbar. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass Qualität und Leistung einzelner Verbindungen durch eine Liberalisierung verbessert werden können, gleichzeitig wird aber das Eisenbahnnetz geschwächt. Das Angebot wird für die Passagiere intransparenter und damit weniger attraktiv. Nachtzugverbindungen laufen in einem liberalisierten Markt Gefahr, noch stärker an den Rand gedrängt bzw. ganz fallen gelassen zu werden.
Vor diesem Hintergrund hat umverkehR seine Forderungen aktualisiert:
1. dass der Bundesrat ein minimales Nachtzugangebot in seine strategischen Ziele für die SBB aufnimmt;
2. dass sich die SBB bei anderen Bahnunternehmen (namentlich der DB) dafür einsetzen, dass das bestehende Nachtzugangebot aus der Schweiz erhalten und qualitativ verbessert wird;
3. dass sich die SBB finanziell bei der Anschaffung von neuem Rollmaterial beteiligen;
4. dass die SBB darauf hinarbeiten, dass eine europaweite Fahrplan- und Ticketplattform aufgebaut wird, die es KundInnen ermöglicht, alle grenzüberschreitenden Zugverbindungen online und einfach einzusehen und Tickets für alle grenzüberschreitende Zugreisen online oder am Schalter zu erwerben;
5. dass die SBB prüfen, ob und unter welchen Bedingungen Nachtzugverbindungen eigenwirtschaftlich betrieben werden können.
Und damit ist klar: umverkehR wird sich auch weiterhin für die Rettung der Nachtzüge einsetzen.